Augenblicklich beschäftigt Leipzig eine Debatte, die nicht nur auf kultureller Ebene relevant ist, sondern mittlerweile als politisches Statement des Stadtrats verstanden werden kann. Die „freie Szene“ kämpft darum, endlich fünf Prozent des städtischen Kulturetats zu erhalten. Darin spiegelt sich zudem eine nicht enden wollende Diskussion um die Einteilung von Kultur in Hoch- und Subkultur wider. Warum wird hier aber überhaupt so kategorisch unterschieden? Was macht die Hochkultur so höherwertig und warum steht Subkultur schon dem Namen nach „unter“ dieser? (Dass auch in der sogenannten Subkultur diese Abgrenzung selbst forciert wird, um u.a. damit kulturpolitisch zu argumentieren, sei am Rande ebenfalls erwähnt.) Damit scheint offenbar bis heute eine Wertung verbunden zu sein, die u. a. in finanziellen Subventionen für bestimmte Arten institutionalisierter oder freier Kultur zum Ausdruck kommt. Auch in Leipzig muss die Frage gestellt werden, warum das „Kino von gestern“ (Oper) im Vergleich zu einer Szene, die der Stadt national und international ein deutliches Gesicht verleiht, mit der zehnfachen Menge an Geld finanziert wird
Doch was bringt uns diese lang tradierte Unterscheidung zwischen Hoch- oder Subkultur eigentlich? Wir wollen uns nicht länger von politisch besetzten Begriffen diktieren lassen, was wir unter (wertvoller) Kultur verstehen wollen. Aus diesem Grund plädieren wir für eine Auflösung dieser oppositionellen Begriffe.
Im Grunde genommen ist Kultur alles vom Menschen Geschaffene. Welcher Mittel er sich bedient und was er ausdrücken kann und will, hat mehr mit den Ansprüchen und dem Selbstverständnis jedes Einzelnen zu tun, als damit, was gesellschaftlich akzeptiert ist. Kultur lebt von Veränderung und Innovation genauso wie von Tradition und Bewahrung. Kultur ist Kultur, egal woher sie kommt.
Streitbar muss sie dennoch bleiben. Wir fragen uns daher, ob es nicht Zeit für neue Denkansätze ist, wenn es um Kultur und Kulturpolitik geht. Die deutsche Kulturlandschaft ist geprägt von einem ausgedehnten Beamtenwesen und einer fortschreitenden Institutionalisierung, die einhergehen mit einem Selbsterhaltungswillen, der seinesgleichen sucht. Es soll in den Raum gestellt werden, ob diese Strukturen des Umgangs und der Förderung von Kultur die richtigen sind für eine sich immer schneller wandelnde Gesellschaft, für etwas, das Freiraum zur Entfaltung braucht. Häufig wird Kultur in eine Art staatliche Zwangsjacke gesteckt, die je nach Befindlichkeit und aktuell politischer Situation, aber eben oft nicht von den Kulturschaffenden selbst definiert wird. Ein so heterogenes Feld einzugrenzen scheint schier unmöglich und lässt viel Raum für Interpretation und somit auch Willkürlichkeiten offen.
Wir wünschen uns eindeutige Strukturen, die Kultur ermöglichen und nicht verhindern. Diese sollen wandelbar sowie verhandelbar bleiben und eine Zusammenarbeit aller Kulturschaffenden auf gleicher Augenhöhe zur Voraussetzung haben. Es muss für die unterschiedlichen Formen von Kultur eine Lobby geben, die ein Verständnis und eine Interessenvertretung erlaubt. Im gleichen Atemzug sollte man sich in Leipzig die Frage stellen, wie Strukturen geschaffen sein sollten, um auch Impulse anderer Kulturen gleichberechtigt einzubeziehen und so offen für neue Entwicklungen zu bleiben. Es ist uns wichtig zu überlegen, wie der Zugang zu Kultur für potentiell jeden und jede gewährleistet werden kann. Wer ist überhaupt dafür verantwortlich, Kultur zu ermöglichen? Ist hier der Staat in der Pflicht oder die Wirtschaft oder gar Privatpersonen, die ihr Vermögen zu diesem Zweck einsetzen sollten? Oder müssten wir uns eigentlich häufiger selbst fragen: Wie viel sind wir bereit für ein Buch, ein Kunstwerk oder den Eintritt zu einem Club zu zahlen?
Und somit setzt Kultur für uns zuerst beim Einzelnen an. Auch wenn dieser Text mehr Fragen aufwirft als Antworten zu formulieren vermag, sind wir davon überzeugt: Mit Kultur schafft der Mensch sich seine Welt. Daher sei dieser Text vor allem ein Plädoyer für kulturelle Vielfalt ohne Zwang zur Wertung, Abgrenzung oder Rechtfertigung verbunden mit dem Wunsch nach Offenheit, Interesse und Akzeptanz gegenüber allen Formen von Kultur.