Öffentlichkeitsbeleidigung

„Auch aus Steinen, die einem in den Weg gelegt werden, kann man Schönes bauen.“
-Goethe-

Medial hat Leipzig in letzter Zeit einen guten Auftritt abgelegt. Online-Magazine und Zeitungen begeistern sich für den „hippen Flair“ und scheuen nicht den Berlin-Vergleich (1), Immobilien-Ratgeber empfehlen die „grüne Stadt an der Pleiße“ (2). Ganz reell gesehen, hat es in den letzten Jahren einen beachtlichen Bevölkerungszuwachs gegeben,(3) sowie einen wirtschaftlichen Aufschwung durch den Standortausbau vieler Unternehmen.(4)

Stadtpolitik wird vornehmlich nach kommerziellen und wirtschaftlichen Interessen geführt. Die Städte treten dabei miteinander in Konkurrenz um Standorte und Investitionen, steuerzahlende Einwohner, Touristen und Großereignisse. Sie führen einen unternehmerischen Haushalt, indem sie städtisches Eigentum und Wohnbestände privatisieren und unrentable Bereiche auslagern. Städtische Ressourcen werden gewinnbringend veräußert und damit die Kontrolle der Stadt über infrastrukturell und sozial wichtige Einrichtungen abgegeben.(5)

Laut Statistik ist Leipzig immer noch „Armutshauptstadt“.(6) Und je mehr Unternehmergeist die Stadtpolitik zeigt, desto weniger wird der finanziell ärmere Teil der Bevölkerung an dem derzeitigen Auftrieb teilhaben können. Durch den Bevölkerungszuwachs in Leipzig werden Wohnraum und günstige Immobilien knapper, was sich in einer Mietpreissteigerung niederschlägt. Mit einer Stadtraumgestaltung, die vorwiegend nach wirtschaftlichen Interessen funktioniert, schwinden auch Freiräume. Und damit die Räume, welche eine alternative Lebensweise ermöglichen, eine Alternative zu Kommerz und Profitgier.

Beim Blick in andere Großstädte fallen sofort die in letzter Zeit erstarkten Bewegungen aus der Bevölkerung auf. In Stuttgart die massiven Proteste gegen ein Großbauprojekt und in Hamburg und Berlin Bewegungen, die sich dem Thema Gentrifizierung stellen. Die Besetzung des Gängeviertels in Hamburg zeigt ein geglücktes Projekt, in dem sich unter anderem Künstler dafür engagierten, dass ein ganzes Stadtviertel als Freiraum erhalten bleibt. Ihr Slogan: „Wir sind die Stadt, denn: Die Stadt sind wir alle“.(7) In Berlin fanden sich die Bewohner rund um das Kottbusser Tor zur Mietergemeinschaft Kotti & Co. zusammen. Sie kämpfen gegen die Mietsteigerungen im sozialen Wohnungsbau und stellen konkrete Forderungen zu Mietobergrenzen an die Landesregierung.(8) Diese Initiativen sind Beispiele für eine durch alle sozialen Gruppierungen breitgefächerte Beteiligung. Sie beanspruchen eine Mitgestaltung des Städtischen und fordern ihr „Recht auf Stadt“. Sie zeigen, dass soziale Bewegungen die Stadt sinnvoll mitgestalten können und wollen. Sie bilden einerseits das notwendige Gegengewicht zu den Zielen unternehmerischer Stadtpolitik und andererseits stoßen sie neue Ideen und Projekte an. Sie eröffnen Möglichkeiten, indem sie sich für benachteiligte, ausgegrenzte und diskriminierte Gruppen in der Stadt einsetzen.

In Leipzig stehen wir am Beginn einer Entwicklung, die Verdrängung und Ausverkauf zur Folge haben. Wir sollten nicht auf eine kluge Stadtpolitik hoffen, sondern eher mit einer unternehmerischen rechnen. Wir sollten unser Recht auf Stadt einfordern und wahrnehmen. Die Stadt wird am besten von denen gestaltet, die darin wohnen. Das bezieht sich nicht nur auf die konkrete Nutzung städtischer Räume jetzt, sondern auch auf die Möglichkeit zur Einflussnahme auf zukünftige Entwicklungen. Wenn es in Leipzig darum geht, größere und kleinere Areale neu zu gestalten, können sich interessierte Bürger auf den Webseiten der Stadt, im Rathaus oder im Amtsblatt über die Pläne informieren. Wenn man die Zeit und Muße hat, sich durch die sperrige Rhetorik eines öffentlichen Bebauungsplans zu pflügen, darf man seine Meinung dazu äußern.(9) Was passiert mit dieser geäußerten Meinung? Wer versteht einen in Beamtendeutsch verfassten Bauplan so, dass er sich passend dazu äußern kann? Wie viele lesen regelmäßig das Amtsblatt?
Man wird vor vollendete Tatsachen gestellt und hat nahezu keinen Einfluss auf den Planungsprozess als solchen. Auch dort, wo die Stadt vorgibt, Bürger über die oben genannten Möglichkeiten hinaus „intensiv zu beteiligen“, (10) findet sich keine Diskussion auf Augenhöhe. Beispielhaft für solch einen eher misslungenen Versuch müssen die Bürgerforen Ende 2012 zum Bayerischen Bahnhof genannt werden. Ursprünglich waren drei Foren geplant, die im Endeffekt nur aus zwei Infoveranstaltungen und einem 8-stündigen Workshop bestanden. Man konnte sich dem Eindruck einer Alibiveranstaltung vor allem beim Workshop nicht erwehren. Die Zeit war viel zu knapp bemessen für so viele gute Ideen von verschiedensten engagierten und fachkundigen Menschen. So blieben am Ende nur Skizzen übrig, die einige Wochen später – wenn überhaupt – nur ansatzweise in die Planungen eingeflossen sind. Die nächsten Bürgerforen sind für Ende 2013 angekündigt. Es vergeht also knapp ein Jahr ohne jede Beteiligung der Bürger, obwohl der Willen zur Beteiligung klar und vor allem konstruktiv geäußert wurde.(11)

Diese so genannte „Bürgerbeteiligung“ seitens der Stadt ist beleidigend. Ausbaufähig ist auch die Flexibilität von Behörden und Verwaltungen, wenn es darum geht, auf Belange von bereits bestehenden Bürgerinitiativen und Bewegungen einzugehen. Hier sei nur auf die langjährigen Bestrebungen der GSO hingewiesen, geeignete Freiflächen für nicht-kommerzielle Veranstaltungen zu bestimmen. In den zahlreichen Gesprächsrunden mit Vertretern der zuständigen Ämter wurde es bisher noch nicht einmal geschafft, ein einziges geeignetes Areal zu nominieren. Nicht nur in diesen Belangen wird bürgerliches Engagement durch zähe Verhandlungsarbeit mit Ämtern und Behörden viel zu oft ausgebremst.

Einwohner, die mit ihren Ideen und Bedürfnissen ernst genommen, aktiv in Planungsprozesse eingebunden und zur Mitgestaltung ermutigt werden, können ein Verantwortungsgefühl für ihre Stadt entwickeln. Ämter und Politiker, die eine Mitgestaltung der Bürger ermöglichen und zulassen, begeben sich auf den einzig richtigen Weg. Sie lassen zu, dass alle Differenzen, die im Raum Stadt durch die Ballung von Menschen entstehen, nicht ignoriert und glatt gebügelt, sondern anerkannt und berücksichtigt werden.

Wie mit gewissenloser Vermarktung des „Wirtschaftstandortes“ Leipzig umgegangen wird, sollte nicht (allein) in die Hände von Ämtern und Politikern gelegt werden. Wir brauchen ein Bewusstsein für die Umstände und ein Austreten aus der Passivität hin zur aktiven Stadt(mit)gestaltung.

Wir fordern mehr Transparenz von Seiten der Stadt!
Wir fordern mehr Engagement jedes Einzelnen!

Links:

(1)
http://www.spiegel.de/international/zeitgeist/leipzig-is-the-new-berlin-a-863088.html
http://www.spiegel.de/unispiegel/wunderbar/party-in-leipzig-wie-berlin-nur-besser-a-871973.html

(2)
http://immobilien-kompass.capital.de/wohnen/leipzig/beschreibung.html#details
http://www.rre-immobilien.de/standort-leipzig/

(3)
http://statistik.leipzig.de/%28S%28h0qr12nrp00pcd55hfyech45%29%29/statcity/table.aspx?cat=2&rub=1&obj=0

(4)
http://www.leipzig.de/imperia/md/content/80_wirtschaftsfoerderung/10_cl_logistik-dl/cl_logistik_2011.pdf
http://www.rre-immobilien.de/standort-leipzig/

(5)
Vgl: http://www.p-art-icipate.net/cms/recht-auf-die-stadt-soziale-bewegungen-in-umkampften-raumen/3/

(6)
http://www.leipzig.de/imperia/md/content/50_sozialamt/lebenslagenreport_leipzig_2009.pdf
http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/grosser-vergleich-leipzig-ist-deutschlands-armutshauptstadt-a-703787.html
http://www.lvz-online.de/nachrichten/mitteldeutschland/leipzig-ist-deutschlands-armutshauptstadt–jeder-vierte-verdient-weniger-als-848-euro/r-mitteldeutschland-a-162765.html

(7)
http://das-gaengeviertel.info/

(8)
http://kottiundco.net/

(9)
http://www.leipzig.de/de/buerger/stadtentw/buergerbet/

(10)
http://www.leipzig.de/de/buerger/stadtentw/projekte/Stadtraum-Bayerischer-Bahnhof-23638.shtml

(11)
Personal communication mit Steffen Thieme