Die Erde ist ein kapitalistischer Planet, der zusehends einer Osterinsel gleicht. Seine BewohnerInnen halten sich mehrheitlich für die Krone der „Schöpfung“ und „ihre“ kapitalistische Gesellschaft für die beste aller möglichen Welten. Von allen Seiten heißt es: „Der Mensch“ ist ein kapitalistisches Tier bzw. eben eine entsprechende Halbgöttin.
Entgegen jeder Vernunft hat sich die „Menschheit“, welche bisher nur dem Namen nach existiert, tatkräftig zu einer gewaltigen Kapitalismus-Sekte verschworen: Ein Kult ohne Führer, doch mit eindeutig suizidalen Zügen. „Sie wissen das nicht, aber sie tun es.“
Wer am allseits beschworenen Dogma des kapitalistischen Koste-es-was-es-wolle-Wirtschaftswachstum-um-jeden-Preis seine kritischen Zweifel anmeldet, wird leichtfertig zur utopischen Ketzerin erklärt und im besten Fall müde belächelt; in freieren Teilen des Weltmarktes warten auf die Skeptiker die verführerisch glitzernden Vergnügungsparks der Kulturindustrie, in den Elendsregionen und Unstaaten der Tod durch Arbeit(slager) bzw. Arbeitslosigkeit.
Allseits ist der Kapitalkult unermüdlich damit beschäftigt „Vollbeschäftigung“ schaffen zu wollen bzw. zu fordern: „Arbeit für alle!“ heißt das Mantra von „links“ bis „rechts“, welches in allen Klangfarben des politischen Spektrums ertönt, so als ob es den meisten tatsächlich ums Arbeiten „an sich“ und nicht vor allem „ums Geld“ ginge.
„Arbeit“, „Ware“, „Wert“ und „Geld“ sind dabei für die mehrheitlich geistig frühvergreisten Jünger einer Welt der – um Marktanteile konkurrierenden – Nationalstaaten und „Wirtschaftsstandorte“ völlig selbstverständliche „Dinge“, also quasi „natürlich“. Genauso selbstverständlich denkt man in den Kategorien von „Volkswirtschaften“: Wer aber „Volk“ sein und damit immer das „Nicht-Volk“ ausschließen will, hat sich von der Idee einer freien und solidarischen Menschheit schon lange verabschiedet: „Volk“ reimt sich auf völkisch, wie kapitalistische Konkurrenz auf Krisen-Kannibalismus.
Ja, der Kapitalismus ist – Achtung: funky Vergleich! – eine primitive Religion, deren Glaubenssätze um das große Nichts kreisen: den „Wert“ und seine Schöpfung. (An dieser Stelle wäre es u.a. ratsam die Suchmaschine etwa nach dem Marx’schen Begriff der „abstrakten Arbeit“ zu befragen…)
Die kapitalistische Religion und ihre Denkmuster jedenfalls sind mittlerweile so verinnerlicht, dass es kaum noch gesonderte Vorbeter braucht: das „ARBEIT UNSER!“ spult sich tagtäglich quasi automatisch ab, die Tausch- und Ausbeutungs-Mechanismen der Weltmärkte laufen wie geschmiert und an allen Ecken und Hirnrinden wuchern zu allem Überfluss die entsprechend menschenverachtenden Ideologien – „notwendig falsches Bewußtsein“ (Theodor W. Adorno). Der tägliche Massenmord ist währenddessen Routine und nicht mal mehr ein Achselzucken wert: Schuldzusammenhang in YOLOstan?!
Der abstumpfende Wirtschaftskampf um den Platz an Sonne wird dementsprechend auf allen Ebenen ausgefochten und selbst das hinterletzte Dorf ist von der konkurrenz-kapitalistischen Standortlogik durchtränkt. Die massenhafte Selbstversklavung der Menschen bedarf überdies kaum noch der Peitschenhiebe.
Im volkswirtschaftlichen Vollrausch stählt man bereitwillig seinen kaufkräftigen Ellenbogen in den Fitnessstudios der geistigen Verelendung. Und die volksverzauberten Zauberlehrlinge tanzen munter um den Marterpfahl ihrer selbstverschuldeten Unmündigkeit und beschwören arbeitseifrig die magischen Formeln einer Weltwirtschaft, über die sie längst die Kontrolle verloren haben. (Wer in diesem Kontext nun beim Wort „Fetischismus“ nur an Lack und Leder denken muss, sollte bei Bedarf einen Blick in das Hauptwerk des bärtigsten aller Kapitalismuskritiker werfen.)
Da nun aber das Phantasma vom krisenfreien Kapitalismus, wie das jüngste Blasenplatzen vor Augen führt, ein höhnischer Widerspruch in sich und mit einem radikalen Bewusstseinswandel zeitnah schwerlich zu rechnen ist, werden sich wohl leider auch in Zukunft verheerende Krisen gewaltsam entladen. Vor diesem Hintergrund lassen sich Menschen, die nichts mehr fürchten als die „Vernichtung (!) von Arbeitsplätzen“, in ihrer luxusproblematischen Sorglosigkeit fast schon beneiden …
Im Zweifels- und Krisenfall aber kuschelt sich die erkaltete Masse – die „lonely crowd“ (Adorno) – in Deutschland besonders gern in den blutdurchtränkten Mantel des „Volkes“. Man weiß sich einig im heroischen Kampf gegen „die Heuschrecken“, „die Blutsauger“ und „die da oben.“ Vor allem wettert man gegen „die Spekulanten“, während der „kleine Mann“ selbstgefällig aber zähnefletschenderweise im Wett(!)bewerb schon auf die nächste Schnäppchenjagd spekuliert (!).
Und besonders spektakulär im schlechtesten Sinne wird es, wenn sich die Mehrheit als „die da unten“ sieht, denn dann ist für „Andere“, „Fremde“ und „Ausländer“ erst recht kein Platz mehr am heimeligen Volkslagerfeuer: Wenn die (klein)bürgerliche Abstiegsangst regiert, wird aus der ach so pazifistisch nach oben gereckten Peace-Zeichen-Faust heutzutage schnell der geschickt um sich geschwungene Ellenbogen im rastlosen Rudern um die besten Plätze, – »Das Boot ist voll, was kümmern mich die Wasserleichen vor Lampedusa!? Wir sind das deutsche Volk, ahoi!«, krakeelt es dann aus dem von geistigen Gartenzwergen bewachten nationalen Maschinenraum, der sich mit den Kommandobrücken allzu einig weiß.
Das giftige Gemisch aus polit-ökonomischem Fetischismus, blinder Volkswut, Resignation(-alismus) und kapitalistischem Standortdenken ist vom globalen Massensterben(lassen) dabei nicht zu trennen, sondern vielmehr dessen Grundlage. Nach wie vor wüten Chauvinismus, Antisemitismus und (Nützlichkeits-)Rassismus quer durch alle Gesellschaftsschichten. Menschenhassende Ideologien sind die logische Kehrseite einer massenhaft unverstandenen – und daher sich weiter verselbständigenden – Wirtschaftsweise, welche statt Elend, Armut, Mangel, Krankheit und Verzweiflung zu überwinden, Tag für Tag Millionen von Menschen überflüssig macht und für die nur die Kaufkraft – nicht etwa die Grundbedürftigkeit – als „systemrelevant“ gilt.
Ein erster Schritt hin zu Freiheit und Mündigkeit wäre bei alldem nun endlich mit dem selbstgerechten Beten aufzuhören und mit dem Denken anzufangen. Für emanzipatorische Kritik ist nichts selbstverständlich und auch Karl Marx kein unfehlbarer Prophet.
Letztgenannter aber schrieb einst, dass man die „versteinerten Verhältnisse dadurch zum Tanzen zwingen (muss), dass man ihnen ihre eigne Melodie vorsingt!“; und dass es darum ginge, „den Deutschen keinen Augenblick der Selbsttäuschung und der Resignation zu gönnen“. So weit, so bedenkenswert!
Thorsten