Galt Leipzig in den 1990er Jahren noch als Boomtown des Ostens, waren die Jahre nach dem Millenium hart für die Stadt. Weltweit musste Leipzig als Beispiel der „shrinking city“ herhalten, zehntausende Wohnungen standen leer und immer mehr Menschen zogen ins grüne Umland oder gleich nach Süddeutschland. In dieser Zeit wurde in Leipzig fieberhaft überlegt, wie sich die Schrumpfung gestalten oder der Trend vielleicht sogar umkehren lassen könnte. Ideen wie die Wächterhäuser entstanden in diesen Jahren, um marode Gebäude vor dem Abriss zu retten. Indes schaffte der Leerstand neue Möglichkeiten für Kulturschaffende: Dank der Verfügbarkeit preiswerter Räume hatte Leipzig Ende der Nuller Jahre zahlreiche Off-Locations. Insbesondere im Leipziger Westen wurden zuvor leerstehende Räume als Galerien, Clubs und Ateliers genutzt. Die Dynamik erinnerte fast schon an die wilden Jahre nach der Wende in Connewitz..
Aber so ein bisschen waren wir enttäuscht davon, dass von diesem neuen Charme Leipzigs anderswo niemand so richtig Notiz nahm. Stattdessen wollten alle immer nur ins zwar genauso arme aber immerhin offiziell sexy Berlin. Wie jubelten wir, als die New York Times – für viele überraschend – Leipzig für das Jahr 2010 als „Place to be“ bezeichnete und auf die in den neu entstandenen Räumen inzwischen tätigen Kreativen anhob. Was mit der Times begann, setzte sich mit beinahe jeder anderen halbwegs renommierten Zeitung fort, die Leipzig mal als „Disneyland des Unperfekten“ (FAZ) oder gar als „neues Berlin“ bezeichneten. Schwoll unsere Brust anfangs mit jedem Artikel immer breiter an, so merkten wir auch auf einmal, dass die Aufmerksamkeit für das kreative Schaffen Leipziger DJs und Veranstaltungscrews, KünstlerInnen und anderen auch dazu führte, dass sich Investoren für das preislich damals vollkommen unterbewertete Leipzig interessierten. Später durch die Finanz- und Eurokrise noch verstärkt, setzte ein Run auf die noch vor wenigen Jahren fast schon abgeschriebenen Gründerzeithäuser an, der bis heute immer mehr Dynamik gewinnt.
Freuten wir uns anfangs darüber, dass nun Hausruinen wieder instand gesetzt wurden, entstanden mit der Zeit immer mehr Konflikte. Waren es die Kreativen, deren Treiben eigentlich der Grund für den Umzug in den Leipziger Westen war, sah das mit der nächtlichen Lautstärke auf einmal ganz anders aus. Zu den bekanntesten Opfern zählte das Superkronik. Aber auch andernorts wurden neue Begehrlichkeiten geweckt. Wäre der Protest nicht so vehement gewesen, wäre auch die zweite Distillery bereits Geschichte.
Leipzigs Kulturszene genießt inzwischen überregional einen ausgezeichneten Ruf. Tourist_innen kommen längst nicht nur wegen Bach und Thomaskirche sondern vor allem die Jüngeren eher wegen der lebendige Clubszene. Doch auch Investor_innen muss klar gemacht werden, dass die Attraktivität Leipzigs nicht nur vom Auwald und Neuseenland sondern auch von der Lebendigkeit der hiesigen Kultur- und Clubszene abhängt. Wenn jetzt nicht engagiert gegengesteuert wird und in den letzten Jahren selbst geschaffene Freiräume zu Gunsten von Luxussanierung aufgegeben werden müssen, wird davon schon bald nicht mehr viel zu sehen und hören sein.
Wir fordern daher von der Stadtverwaltung bzw. vom Stadtrat, alle zur Verfügung stehenden Mittel zu nutzen, um Freiräume vor den Begehrlichkeiten von Investor_innen zu schützen und kreative Milieus zu schützen. Dies kann u. a. durch kommunale Immobilien, Ausweisung von Mischgebieten (wo im Gegensatz zu reinen Wohngebieten durchaus auch mal nachts mehr als nur das Rufen der Eulen zu hören sein darf) und gezielter Ansprache von Investor_innen geschehen. Die Möglichkeiten sind durchaus da – nur sie müssen politisch gewollt und auch umgesetzt werden. Dazu bedarf es mehr Mut und Engagement als bislang!
[FT]