Von der Forderung eines „Rechts auf Stadt“ zur Etablierung einer „Recht auf Stadt“- Bewegung in Leipzig

Die Stadt ist der Ort unseres alltäglichen Zusammenlebens; der Ort, in dem unsere Begegnungen stattfinden, indem wir unsere Beziehungen knüpfen, uns organisieren und unsere Utopien entwickeln. Nach diesem Verständnis bleibt die Artikulation des „Rechts auf Stadt“ nicht bei der Forderung nach günstigem Wohnraum oder weniger Privatisierungen stehen, sondern muss darüber hinausgehen. Das „Recht auf Stadt“ zielt auf das Recht zur umfassenden Gestaltung der gemeinsamen Beziehungen, auf die Beteiligung der (bisher) Ausgeschlossenen, neue Formen des Erfahrungsaustauschs und der Bildung des Gemeinsamen – und grundsätzlich auf die Möglichkeit, unser Leben jenseits von Verwertungszwängen zu organisieren. In der politischen Praxis muss ein Mittelweg zwischen realpolitischen Forderungen mit Forderungen, die über die kapitalistische Stadt als Lebensort hinausweisen, gefunden werden: Denn solange das Wohnen eine marktvermittelte Ware ist und die Stadt ein Feld für Investitionen darstellt, wird es zu Phänomenen wie Ausschluss und Verdrängungen in ihr kommen. Dennoch ist es stets sinnvoll auch in unserer Perspektive realpolitische Forderungen zu stellen, weil ihre Erfüllung das konkrete Leid der Stadtbewohner_innen – zumindest vorübergehend – lindert und etwas Besseres als die jetzige Situation durch sie aufscheint.

Es zeigt sich: (a) Angesichts steigender Mieten, durch die einkommensschwache Gruppen aus ihren Vierteln und an den Rand der Stadt gedrängt werden, (b) angesichts von Investor_innen, für die das Bedürfnis nach Wohnraum zum Mittel für die Realisierung der eigenen Renditerewartungen wird, (c) angesichts der Aufwertung von Vierteln, durch die die Spielräume für nichtkommerzielle Initiativen und Formen des gemeinsamen Zusammenlebens zusehends schrumpfen, (d) angesichts der Ausrufung von Gefahrengebieten, die ganze Straßenzüge zu Problemzonen erklärt und so polizeiliche Repressionen gegen ihre Bewohner_innen rechtfertigt (siehe Text Prisma) und (e) angesichts einer Stadtpolitik, die sich ganz auf das Leitbild einer unternehmerischen Stadt ausrichtet und danach strebt für Investoren attraktiv zu sein, sind die Kämpfe für ein „Recht auf Stadt“ in Leipzig noch unzureichend entwickelt.

Dennoch gibt es in Leipzig bereits mehrere Einzelpersonen, Initiativen und politische Gruppen, die bewusst oder (noch) unwissentlich ihr „Recht auf Stadt“ einfordern, oder sich gegen die Lebensform der unternehmerischen Stadt organisieren. Auf ihr Engagement kann aufgebaut werden. Der Ausgangspunkt des urbanen Widerstands ist die konkrete Lebenssituation, das heißt die Nachbarschaft. So haben sich Bewohner_innen in einigen Vierteln zu Initiativen – teilweise auch ohne eine linke Szenezugehörigkeit, wie in Anger-Crottendorf – als Reaktion auf Gentrifizierungstendenzen und drohende steigende Mieten zusammengefunden. Des Weiteren versuchen Ladenprojekte, wie beispielsweise das 2Eck, Orte der Selbstorganisierung der Nachbarschaft zu sein. In den studentischeren Vierteln Leipzigs gibt es eine vielfältige Anzahl Ladenprojekten wie Infoläden, Kulturprojekte, selbstverwaltete Bildungsangebote, offenen Voküs, uvm.. Diese Läden bieten in unterschiedlichen Bereichen Möglichkeiten einer Organisation des Lebens jenseits der Zwänge kapitalistischer Verwertungslogik und der unternehmerischen Stadt. Ihre Existenz ist aber ständig umkämpft, spätestens sobald das Viertel interessant für Investor_innen wird. In den weniger links-alternativen oder studentisch geprägten Vierteln gibt es bisher viel zu wenige solcher Initiativen, weswegen sie alleine nicht ausreichen, um Ideen einer anderen Stadt zu verwirklichen. Neben diesen Stadtteilinitiativen gibt es auch stadtübergreifende Gruppen wie Stadt für alle,welche sich in die politische Debatte der lokalen Tagespolitik einmischt, sowie das Anti-Verdrängungs-Bündnis Now_here (die Autor_innen dieses Textes), oder die Organisationsgruppe der GSO, welche die Forderung nach Freiräumen durch die jährlich stattfindende Demonstration politisiert hat. So gibt es schon Ansätze die einzelnen Kämpfe in einen größeren Zusammenhang zustellen, dennoch kann noch nicht von einer „Recht-auf-Stadt“-Bewegung gesprochen werden.

Die bestehenden Zusammenschlüsse sind noch nicht in der Lage, den oben Entwicklungen mit der notwendigen Gegenmacht zu begegnen. Um bezahlbaren Wohnraum für alle zu erkämpfen, muss es uns gelingen, die klassischen Szenegrenzen zu verlassen, von Verdrängung und Aufwertung betroffene Mieter_innen zu vernetzen und die zu organisieren, die, wie Erwerbslose, Geflüchtete oder Wohnungslose, in den offiziellen stadtpolitischen Diskursen nicht repräsentiert werden. So wollen wir abschließend einige Hinweise für eine Praxis nach diesem Verständnis geben. Zunächst halten wir die Demonstration auf der Straße als Praxisform für wichtig. Auch wenn wir ihnen eher eine symbolische Funktion zuschreiben. Dies können zum einen Solidemonstrationen für einzelne von den Gentrifizierung betroffene Häuser sein gegen, bspw. Entmietungsprozesse von Wohnhäusern (so bspw. veranstalteten die Bewohner_innen der Holbeinstraße 28a eine Demonstration zum Unternehmenssitz der für die Entmietung verantwortlichen KSW) und Verdrängungsprozessen von Freiräumen oder Wagenplätzen, zum anderen Proteste gegen die Stadtpolitik wie die GSO, sein. Durch Demonstrationen erhalten die Betroffenen eine mediale Aufmerksamkeit, da Problematiken und einzelne stadtpolitische Kämpfe sichtbar werden. Deshalb ist eine gute Medienarbeit in diesem Kontext sehr wichtig. Es kann darum gehen konkrete Praxen der Gentrifzierungsakteure zu skandalisiern oder positive Forderungen zu stellen. Des Weiteren können in der Vor – und Nachbereitung solcher Demonstrationen längerfristige Vernetzungszusammenhänge entstehen, in denen Menschen aus verschiedenen Betroffenheitssituationen zusammenkommen. Es gibt auch andere Formen, um auf die Gentrifzierung aufmerksam zu machen, die weniger Aufwand als eine Demonstration bedeuten, bspw. Aufklärungsarbeit wie Infoveranstaltungen und -flyer über die eigene Verdrändgungs- und Ausschlusserfahrung, oder Flahmobs bei städtischen Events. Bei letzterem ist es auch wichtig das Event und die Aktion so auszuwählen, dass sie medial bemerkbar werden. Gentrifzierungsakteure, wie die Stadtregierung und vor allem die Immobilienfirmen, fürchten nichts mehr als ein negatives Image für das Investitionsobjekt Leipzig und für das eigene Unternehmen. Gegen den Willen einer wehrhaften Stadtbevölkerung ist es schwerer, eine unternehmerische Politik durchzusetzen. Die Bedingung für jede gentrifizierungskritische Praxis ist aber immer eine Selbstorganisation der Betroffenen im Vorfeld. Es ist wichtig, dass sich die Bewohner_innen von Häusern in gentrifizierungsbedrohten Vierteln regelmässig austauschen über aktuelle Entwicklungen, bspw. Eigentümer_innenwechsel bei der bewohnten Immobilie oder angekündigte Sanierungen. Es ist genauso wichtig, dass sich Gruppen, die permanent Betroffene der Verdrängungsprozesse sind, wie Erwerbslose, Flüchtlinge oder Obdachlose selbst organiseren, um sich und ihre Probleme besser artikulieren zu können. Gruppen wie Now_here wollen für solche Selbstorganisierungen von Betroffenen Ansprechpartner sein und die unterschiedlichen Menschen in einer „Recht auf Stadt“ – Bewegung zusammenführen.

Organisiert Euch selbst, lasst uns die Kämpfe vereinen, denn es ist unsere Stadt und eine andere ist möglich!

[now_here]